Präsidentialismus als Leitmotiv für Europa? Stark reduziert

Aus dem wirtschaftlichen Zweckbündnis von einst ist längst ein quasi-staatliches Gebilde mit starken supranationalen Elementen entstanden. Will die EU den eingeschlagenen Kurs fortführen und den bisher erreichten Integrationsstand vertiefen, wird sie früher oder später einige wichtige Grundentscheidungen treffen müssen. Dazu gehört auch die Frage, welchem Systemtyp das europäische Institutionengefüge in Zukunft angehören soll. Obwohl sowohl in der Rechts- und Politikwissenschaft als auch im allgemeinen politischen Diskurs bislang stiefmütterlich behandelt, lotet Gloria Gaupmann die Chancen und Möglichkeiten eines präsidentiellen Entwicklungspfades für die EU aus. Dabei geht sie von der Annahme aus, dass das politische System der EU in seiner heutigen Ausgestaltung dem präsidentiellen Typus näher steht als dem parlamentarischen. Sie vergleicht dazu das europäische System mit dem britischen Parlamentarismus und dem amerikanischen Präsidentialismus. Die Regierungskreationsfunktion des Parlaments, die Fraktionsdisziplin und die Interaktion der Regierung und des Parlaments im Gesetzgebungsprozess zieht sie als Unterscheidungskriterien heran. Damit kehrt sie der noch immer verbreiteten sui generis-Theorie, die von der Einzigartigkeit und damit Unvergleichbarkeit der EU ausgeht, den Rücken und rückt das politische System der EU in den Mittelpunkt der vergleichenden Systemforschung. Im Ergebnis zeigt sich eine deutliche Affinität des europäischen Systems zum Präsidialismus. Die Wahrscheinlichkeit für seine Umsetzung erscheint zudem auf der Grundlage einer Umfrage unter den Europaabgeordneten realistisch.